Die Stammeltern
Karl Eisenberg wurde am 20.Juni 1787 als zweites Kind des Pfarrers von Nesselröden, Johannes Eisenberg und Martha Elisabeth geborene Scheidemantel, geboren. Die Eltern beabsichtigten zuerst, den ältesten Sohn Johann Friedrich studieren zu lassen. Da aber derselbe hierzu keine Neigung bezeigte, wurde der zweite Sohn für das Studium bestimmt.
Den ersten Vorbereitungsunterricht für das Gymnasium erteilte ihm sein Vater. Danach besuchte er mehrere Jahre - bis zum Herbst 1807 - die Klosterschule in Hersfeld. Bei seinem Abgang von derselben am 7.10.1807 stellte ihm sein bisheriger Lehrer H.W. Kraushaar das folgende Zeugnis aus: "Ich kann diesem edlen jungen Mann das beste Zeugnis geben, das ich je einem von hier abgehenden Gymnasiasten erteilte. Er wurde hier unter meinen Augen gebildet und wohnte geraume Zeit in meinem Hause. Ich hatte also Gelegenheit, ihn genau kennenzulernen. Sein Betragen war nicht nur ohne den geringsten Flecken, sondern in jeder Hinsicht musterhaft, sein Herz vortrefflich, sein Talent gut, sein Fleiß ausdauernd und gründlich, und mit diesen Vorzügen verband er eine besonders lobenswerte anspruchslose Bescheidenheit, so daß er die Zierde unserer Schule war und von allen Lehrern vorzüglich geliebt und geachtet wurde."
Auch der Konrektor G.H. Schuppius bezeugt ihm, daß dieser hoffnungsvolle Jüngling sich rühmlich ausgezeichnet habe. Völlig vorbereitet beziehe er die Akademie, um sich den theologischen Studien zu widmen. Er werde deshalb unter den schönsten Hoffnungen und mit den herzlichsten Wünschen für sein stetiges Wohlergehen entlassen. Auf diese Zeugnisse können wir stolz sein.
Am 3.11.1807 wurde er in Marburg in der theologischen Fakultät immatrikuliert. Im Herbst 1810 bestand er das Fakultätsexamen. Das Zeugnis über dasselbe ist nicht mehr vorhanden. (Ein Stammbuch aus seiner Universitätszeit war im Besitz von Base Therese. Als dieselbe 1929 ihre Mietwohnung in Hersfeld aufgab und sich in das dortige Hospital aufnehmen ließ, hat sie die alten Familienakten unter die Vettern Fried, Karl (Dreihausen), Johannes und mich verteilt. Später sind sie an mich weitergegeben worden, das Stammbuch war leider nicht dabei.)
Nach Vollendung des Studiums nahm der junge Kandidat eine Hauslehrerstelle bei den Familien von Buttlar in Markershausen an. Als sein Vater am 20.12.1812 nach kurzer Krankheit gestorben war, bewarb er sich bei den Patronen um die Pfarrstelle Nesselröden. Schon am 5.12.1812 wurde er dem Vormund der noch minderjährigen Prinzen von Hessen-Philippsthal-Barchfeld präsentiert und auch wohl bald bestätigt und in die Stelle eingeführt. Nach der Auflösung des Königreichs Westfalen erkannte aber der in sein Land zurückgekehrte Kurfürst von Hessen diese Anstellung - wie alle anderen Amtshandlungen der westfälischen Regierung - nicht an, sondern forderte eine neue Bewerbung um die Stelle, die auch nachgesucht wurde und zur Neuanstellung des "Kandidaten" Karl Eisenberg führte. Da seine Mutter mit den noch nicht verheirateten Töchtern auf ihr in Willershausen erworbenes Gut zog, mußte der junge Pfarrer noch drei Jahre lang ein Junggesellenleben führen, bis er sich am 22.1.1815 mit Dorothea Wilhelmine Otto aus Nesselröden verheiratete.
Sie war am 9.4.1793 in Hausen bei Oberaula als Tochter des von Dörnbergschen Rittergutpächters Karl Dietrich Otto und seiner zweiten Ehefrau Anna Margarethe Kaufmann aus Friedigerode geboren. Ihre Eltern waren schon Petri 1811 nach Nesselröden zurückgekehrt, weil sich ihre Vermögensverhältnisse infolge der langjährigen Kriegsnöte verschlechtert hatten, so daß sie die Pachtung in Hausen ihrem Sohn Andreas, dem Begründer der Blankenheimer Otto-Linie, abtreten mußten und fortan ihr eigenes, bisher verpachtetes Gütchen bewirtschafteten. Zehn Jahre haben sie es auch durchführen können. Als sich aber ihre Kinder eins nach dem anderen verheirateten und die Kräfte des alten Ehepaares nachließen, mußten sie es abgeben. Damit ihnen der Wohnsitz im Hause erhalten blieb, entschloß sich ihr Schwiegersohn Karl Eisenberg, das Gütchen zu kaufen und zusammen mit den Pfarrländereien zu bearbeiten.
Weil die Otto'sche Hofreite größer und mit besseren Ökonomiegebäuden versehen war, zogen die neuen Besitzer aus dem Pfarrhaus in das eigene Heim. Für die alten Leute war diese Veränderung eine Verbesserung, aber ihre Kinder hatten sich durch die Vergrößerung ihrer Landwirtschaft eine schwere Last aufgeladen. Es ist dem Schwiegersohn sicher nicht leicht geworden, neben seinem Amt noch eine größere Bauernwirtschaft zu führen. Wie unbequem war es doch für ihn, sein Amts- und Schulzimmer im Pfarrhause zu haben und einen großen Teil des Tages in einem anderen, einige Minuten entfernt liegenden Hause weilen zu müssen!
Wie oft am Tag hat er wohl den Weg, der bei Regenwetter grundlos und bei Dunkelheit beschwerlich war, hin und her gemacht! Er hat es mit Rücksicht auf seine Familie auf sich genommen. Vier Kinder hatten die Pfarrersleute bereits, als sie in das eigene Haus übersiedelten, und noch acht wurden ihnen in den Jahren 1822 bis 1839 geboren, von denen zwei am Tage der Geburt, bzw. nach zehn Wochen starben.
Um die etwa 100 Morgen großen Ländereien bewirtschaften zu können, mußten ein Knecht und mehrere Mägde, in der Erntezeit auch noch anderer Arbeitsleute angenommen und zwei Pferde und zwei Zugochsen gehalten werden. Zur Familie gehörte auch ein blinder Bruder der Hausfrau, der als Kind im Scharlachfieber das Augenlicht völlig verloren hatte. Er hing mit besonderer Liebe an seiner Schwester und war so innig mit ihr verbunden, daß er ihr sieben Tage nach ihrem Hinscheiden nachfolgte, ohne eigentlich krank gewesen zu sein.
Um in dem wenig geräumigen Otto'schen Hause Platz zu gewinnen, verlegte der Hausherr sein Schlafzimmer wieder ins Pfarrhaus und teilte es mit seinem ältesten Sohn. Morgens brachten sie gemeinsam die Betten und die Studier- und Schlafstube in Ordnung, wobei der Vater, wenn es die Witterung erforderte, das Feuer im Ofen anzündete. Der Morgenimbiß wurde ihnen meistens vom zweiten Sohn gebracht. Nach dem Frühstück begann der Unterricht, an dem außer den eigenen Kindern auch noch andere aus Nesselröden und den umliegenden Dörfern teilnahmen. Das Mittagessen wurde im eigenen Hause gemeinsam mit allen Gliedern der großen Familie eingenommen. Dann ging es wieder an die Schularbeit oder an die Amtsgeschäfte bis zum Abendbrot, das wieder die Familie vereinigte. Abends blieb man zusammen, soweit nicht amtliche Verpflichtungen den Familienvater an das Amtszimmer fesselten. An Sonn- und Festtagen waren je drei Gottesdienste zu halten, zwei in der Muttergemeinde und einer abwechselnd in den Filialen Holzhausen und Unhausen.
Das Zusammenleben mit den Großeltern Otto und ihrem blinden Sohn scheint sehr harmonisch verlaufen zu sein. Die Großeltern wurden beide über 80 Jahre alt und lebten noch bis zum 15.4.1827 bzw. 11.11.1837. Auch mit den Enkelkindern verstanden sich dieselben gut, besonders die Großmutter, die nicht müde wurde, ihnen Geschichten zu erzählen und mit ihren geschickten Händen die Blumen und Beerensträucher im Garten zu pflegen und manchen Riss und sonstigen Schaden an den Kleidern der Kinder zu beseitigen. Als Dank brachten ihr die Enkelchen immer die ersten Blumen und Früchte, weil sie wußten, daß Großmutter eine große Verehrerin derselben war.
Bei aller Mühe, die sich die Pfarrersleute mit ihrem Landwirtschaftsbetrieb machten, vermochten sie keinen Reingewinn zu erzielen. Der Haushalt kostete bei den vielen Zugehörigen zu viel, und der Erlös für verkauftes Vieh und für Frucht war in jener Zeit gering. In manchen Jahren mußte die Frucht (=Getreide) unter den Gestehungskosten verkauft werden, und es kam sogar vor, daß die Frucht bei der Anfuhr in den Nachbarstädten unverkäuflich blieb und wieder mit nach Hause genommen werden mußte.
Infolge der mancherlei Sorgen und der überreichlichen Arbeit hatten die Eheleute ihre Kräfte vor der Zeit verbraucht. Karl soll in seiner Jugend öfters kränklich gewesen sein. Allmählich besserte sich aber seine Gesundheit, und er wurde ein großer, breitschultriger und sehr kräftiger Mann. Als Beweis für seine Stärke erzählte mein Vater, daß er einen Sack mit etwa 80 kg Frucht mit beiden Händen am zugebundenen Zipfel gefaßt und schwebend in die Höhe gehoben habe. Einem Freunde, der ihn eines Tages durch seinen Besuch überraschte, hat er so kräftig die Hand gedrückt, daß derselbe laut aufschrie; ein Finger war unter dem mächtigen Händedruck gebrochen.
Doch auch ein starker Körper und eine solch' eisenfeste Gesundheit mußten bei dem mühsamen Leben und der übergroßen Arbeitslast vor der Zeit Schaden nehmen. Es stellten sich bei dem Hausvater Krampfadergeschwüre ein, die ihm das Gehen sehr erschwerten. Auch ein Unfall, den er in den letzten Jahren in Nesselröden erlitt, beschleunigte den frühen Kräfteverfall. In einem strengen Winter war er bei hohem Schnee und heftigem Wind auf dem Rückweg von einer der Filialgemeinden im Schnee steckengeblieben. Als er, der bei seinen Amtshandlungen immer sehr pünktlich war, nicht rechtzeitig zum zweiten Gottesdienst in der Muttergemeinde erschien, machten sich die Männer der Gemeinde auf die Suche und fanden den Vermißten halb erfroren und völlig erschöpft in einer Schneewehe auf. Seit der Zeit litt er an starker Schlafsucht, die ihn befiel, sobald er zum Sitzen kam. Nach längerer Erholungszeit besserte sich wohl das Leiden, aber ganz verlassen hat es ihn nicht. Einer seine Söhne mußte ihn deshalb in die Gottesdienste begleiten, um ihn zu wecken, wenn er während des Gemeindegesanges in seinem Pfarrstand eingeschlafen war.
Am Osterfest des Jahres 1839 hatte er die große Freude, daß sein ältester Sohn Karl auf der Kanzel von Großvater und Vater seine erste Predigt hielt, in demselben Gottesdienst, in dem der Vater sein jüngstes Töchterchen taufen durfte.
Weil Karl sich dem Doppelberuf in Nesselröden nicht mehr gewachsen fühlte, bewarb er sich in demselben Jahr erfolgreich um die Unikatgemeinde (=ohne Filialdorf) Datterode. Im Spätherbst mußte die Stelle angetreten werden. Weil sich aber der große landwirtschaftliche Haushalt in dieser Jahreszeit nicht so rasch verkleinern und nach Datterode überführen ließ, mußte sich die Familie zur Trennung für den Winter entschließen. Die älteste und eine vierzehnjährige Tochter, die vor der Konfirmation stand, zogen mit dem Vater in die neue Heimat, während die Mutter mit den übrigen Kindern und dem blinden Bruder noch bis zum Frühjahr in Nesselröden verblieb. Für die beiden Gatten waren diese Wintermonate eine schwerer Zeit, weil die in Nesselröden zurückgebliebenen Familienglieder mehrmals von schweren Krankheiten heimgesucht wurden. Besonders um das Leben des jüngsten, noch nicht einjährigen Töchterchens waren sie längere Zeit in großer Sorge. Das eigene Gütchen in Nesselröden wurde zunächst verpachtet und später an den Landgrafen in Herleshausen verkauft.
Als die Ehegatten im Frühjahr 1840 glücklich wieder vereinigt waren, hofften sie, daß nun ihr Leben sich weniger mühselig gestalten werde. Sie blieben aber nur noch drei Jahre beieinander und hatten mit mancherlei Krankheiten zu kämpfen. Die Gattin begann zu kränkeln und wurde im kaum begonnen 51. Lebensjahr am 28.4.1843 abgerufen. Der Abschied von dem Gatten und den zehn noch lebenden Kindern, darunter einem vier- und einem neunjährigen, und von dem blinden Bruder war unendlich schwer für sie. Aber nicht minder schwer war die Trennung für den bereits stark gealterten Vater. Die älteren Töchter konnten wohl den Haushalt führen und die jüngeren Geschwister erziehen helfen, aber die Mutter voll zu ersetzen vermochten sie nicht. Alle Hinterbliebenen vermißten die Entschlafene schmerzlich, am meisten aber der Gatte, der 28 Jahre hindurch an ihr eine treue Lebensgefährtin gehabt hatte.
Im Sommer 1846 konnte der Witwer mit zwei Töchtern und einer Nichte noch eine schon früher geplante Verwandtenreise machen, auf der er auch seinen Sohn Karl in dessen Hauslehrerstelle in Landershausen besuchen und dort seinen 59.Geburtstag feiern konnte. Neu gestärkt und wohlbefriedigt kehrte Karl nach Hause zurück. Bald darauf erkrankte er aber an Typhus. Diese tückische Krankheit schien erst gnädig vorüberzugehen. Aber am Ende des Jahres trat ein Rückfall ein, der am Neujahrstag 1847 zu seinem Tode führte. Trauernd standen die zehn Kinder, die noch fast alle ohne festes Einkommen waren, am Sterbebett des Vaters. In Treue haben sie dann zueinander gehalten. Der älteste Sohn wurde zum Vormund der minderjährigen Geschwister bestellt und vom Konsistorium mit der Versehung der Pfarrei Datterode während des Gnadenhalbjahrs und noch sechs Monate darüber hinaus beauftragt. Dann mußte das Pfarrhaus geräumt und eine Wohnung im Dorf bezogen werden, bis der älteste Bruder im Jahr 1850 in Hesserode feste Anstellung fand, wo er den Geschwistern ein neues Heim zu bieten vermochte.
Vermögen hatte Karl Eisenberg seinen Kindern nicht hinterlassen können. Es waren vielmehr bei seinem Tode noch Schulden vorhanden, die allmählich zu tilgen den Kindern eine heilige Pflicht erschien. Sie nahmen diese Last gern auf sich in herzlicher Dankbarkeit für alle Liebe und Fürsorge, die sie von ihren Eltern erfahren hatten.
Auch wir Nachkommen dieses Ahnenpaares wollen ihrer stets in Liebe und Ehrerbietung gedenken.